Klönne will die rote Fahne
© 2011 Neue Westfälische - Schloß Holte-Stukenbrock, Donnerstag 14. April 2011
Streit um Spitze des Obelisken: Paderborner Professor ist Zeitzeuge
VON SABINE KUBENDORFF
Schloß Holte-Stukenbrock. „Das waren wahrlich keine Stalinisten!“ Professor Arno Klönne spricht über sowjetische Soldaten, die in Stukenbrock-Senne zwischen 1941 und ’45 im Kriegsgefangenenlager inhaftiert waren, die er noch in den Kriegsjahren und direkt danach persönlich kennengelernt hat. Mit denen er sich auch viele Jahre später immer wieder ausgetauscht hat.
Der emeritierte Soziologe und Politikwissenschaftler hat sich als Zeitzeuge zu Wort gemeldet im Streit um den Obelisken auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof . Wie wiederholt berichtet, hatten dieÜberlebenden des Kriegsgefangenenlagers Stalag 326 auf die Spitze eine rote Sowjet-Flagge aus Glas aufgepflanzt. Die war 1956 in den Zeiten des Kalten Krieges ausgetauscht worden gegen ein orthodoxes Kreuz. Nun soll wieder das kommunistische Symbol auf die Spitze, worüber ein heftiger Streit entbrannt ist.
Arno Klönne will die rote Fahne zurück. „Denkmalschutz“, sagt der bekennende Linke, „müsste meines Erachtens bedeuten, dass ein Symbol der Erinnerung die Form behält, für die sich jene Menschen entschieden hatten, aus deren Lebensgeschichte es hervorging. Alles andere wäre Verfälschung von Geschichte.“
Als Zehnjähriger war Klönne mit seiner Familie aus dem zerbombten Bochum nach Hövelhof gezogen. Das war 1931. Sein Vater war Lehrer und unterrichtete auch Musik. „Er schenkte den Kriegsgefangenen Noten“, berichtet Klönne. Viele sowjetischen Soldaten arbeiteten damals außerhalb des Lagers, so ergaben sich Kontakte zur Bevölkerung und eben auch zu Familie Klönne. „Es tat den Gefangenen gut, wenn sie mal aus dem Lager rauskamen, auch weil sie draußen ein bisschen besser verpflegt wurden.“ Arno Klönne kann sich noch gut an den Anblick des Lagers von der Straße aus erinnern, an die „erbärmlichen Verhältnisse“. Die Russen seien schlechter behandelt worden als westliche Kriegsgefangene. „Aber trotzdem wurde im Lager Musik gemacht.“ Die Noten der Familie Klönne trugen dazu bei, die Gefangenschaft erträglicher zu machen.
Die Soldaten lernten ein bisschen Deutsch, Unterhaltungen wurden möglich. „Die meisten“, berichtet der jetzt fast 80-Jährige, „waren keine Bewunderer Stalins. Aber die sowjetische Flagge war das Symbol, unter dem sie gekämpft haben.“ Das dürfe man nicht mit Begeisterung für den Stalinismus verwechseln.
Nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner im April vor 66 Jahren hatten sowjetischen Soldaten wieder die Familie Klönne besucht, um sich noch einmal zu bedanken. Sie berichteten von sich und Kameraden, dass so mancher vor ihnen die Rückkehr in die kommunistische Heimat fürchtete. „Sie ahnten wohl schon, dass sie nicht gut behandelt werden würden“, beschreibt Arno Klönne. Tatsächlich wurden „sie noch einmal bestraft“.
Viele „kamen in Lagerhaft, wurden von beruflichen Karrieren ausgeschlossen“. Einige der befreiten Soldaten waren wegen ihrer Vorahnung untergetaucht, Arno Klönne hielt den Kontakt zu manchem und lernte Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre über Bekannte weitere kennen. Er nahm später oft an den Gedenkveranstaltungen des Arbeitskreises „Blumen für Stukenbrock“ auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof teil, auf dem der umstrittene Obelisk steht. Dabei machte er die Bekanntschaft weitere Überlebende. Nach Klönnes Schilderung wollten sie die rote Fahne zurück. „Man kann das Historische eben nicht einfach wegwischen.“
In der Diskussion um Fahne oder Kreuz bezeichnet es der Professor als „absurd“, dass mit der roten Flagge „ein Zeichen für den Stalinismus und dessen Verbrechen gesetzt worden sei oder für die Vernichtung der Religion“. Über das Verhältnis der Gefangenen zur orthodoxen Kirche „war mit der sowjetischen Fahne so oder so gar nichts gesagt, und in dieser Hinsicht gab es auch keine einheitliche Meinung unter den Lagerinsassen“.